Mascha Kaléko (1907-1975)

von | 25 Apr. 2025 | Allgemein, Sprache

Der Todestag der Dichterin Mascha Kaléko jährt sich dieses Jahr zum 50. Mal. Die Gedichte der Poetin berühren besonders durch ihre Unmittelbarkeit, ihre feine Ironie und der Klarheit des Gefühls.

Bewegtes Leben

Mascha Kaléko erblickte am 7.Juni 1907 in Chrzanów (damals Österreich-Ungarn, heute Polen) das Licht der Welt. Die großen Kriege prägten das Leben der jungen Frau. Zu Beginn des 1. Weltkriegs übersiedelte die Familie nach Deutschland. Mascha lebte mit Ihren Eltern erst in Frankfurt am Main und später in Marburg. 1918 zog die Familie nach Berlin, wo sie ihre Ausbildung absolvierte und als junge Dichterin Teil der Berliner künstlerischen Bohème wurde. Sie schrieb Gedichte für das Kabarett und für Zeitschriften und traf mit ihren scharf beobachteten, ironischen aber auch schwermütigen Gedichten genau den Ton der Grundstimmung der Weimarer Republik.
Das Balancieren auf dem Pulverfaß, die fehlende Verwurzelung und das Ausgeliefertsein im politischen Chaos hat Mascha Kaléko im Gedicht Die frühen Jahre lyrisch verarbeitet

Die frühen Jahre

Ausgesetzt
In einer Barke von Nacht
Trieb ich
Und trieb an ein Ufer.
An Wolken lehnte ich gegen den Regen.
An Sandhügel gegen den wütenden Wind.
Auf nichts war Verlaß.
Nur auf Wunder.
Ich aß die grünenden Früchte der Sehnsucht,
Trank von dem Wasser das dürsten macht.
Ein Fremdling, stumm vor unerschlossenen Zonen,
Fror ich mich durch die finsteren Jahre.
Zur Heimat erkor ich mir die Liebe.

(aus: Mascha Kaléko. Die paar leuchtenden Jahre)

Ehe, Publikationen und Emigration

Das Unstete spiegelte sich auch in Kalékos Privatleben. 1928 heiratete sie den Dozenten Saul Aaron Kaléko, von dem sie sich nach zehn Jahren Ehe 1938 wieder scheiden ließ. Bereits 1936 brachte sie ihren Sohn Steven zur Welt, dessen leiblicher Vater der Musiker Chemjo Vinaver war und den sie 6 Tage nach der Scheidung ihres ersten Mannes heiratete.
Kalékos erste eigenen Publikationen Das lyrische Stenogrammheft und Kleines Lesebuch für Große wurden zum Erfolg und entgingen anfangs der nationalsozialistischen Zensur, weil bei den Behörden ihr jüdische Abstammung noch nicht erfasst war.

Nachdem ihre Werke in Deutschland verboten wurden, emigrierte sie 1938 mit ihrem Sohn und ihrem neuen Ehemann nach New York. Aber auch dort sollte sie keine Wurzeln schlagen, obwohl die Familie bereits 1944 amerikanische Staatsbürger wurden.

Rezept

Jage die Ängste fort
Und die Angst vor den Ängsten.
Für die paar Jahre
Wird wohl alles noch reichen.
Das Brot im Kasten
Und der Anzug im Schrank.

Sage nicht mein.
Es ist dir alles geliehen.
Lebe auf Zeit und sieh,
Wie wenig du brauchst.
Richte dich ein.
Und halte den Koffer bereit.

Es ist wahr, was sie sagen:
Was kommen muß, kommt.
Geh dem Leid nicht entgegen.
Und ist es da,
Sieh ihm still ins Gesicht.
Es ist vergänglich wie Glück.

Erwarte nichts.
Und hüte besorgt dein Geheimnis.
Auch der Bruder verrät,
Geht es um dich oder ihn.
Den eignen Schatten nimm
Zum Weggefährten.

Feg deine Stube wohl.
Und tausche den Gruß mit dem Nachbarn.
Flicke heiter den Zaun
Und auch die Glocke am Tor.
Die Wunde in dir halte wach
Unter dem Dach im Einstweilen.

Zerreiß deine Pläne. Sei klug
Und halte dich an Wunder.
Sie sind lang schon verzeichnet
Im grossen Plan.
Jage die Ängste fort
Und die Angst vor den Ängsten.

(aus: Mascha Kaléko. Die paar leuchtenden Jahre)

Persönliche Schicksalsschläge

1957 wanderte sie mit ihrem Mann nach Jerusalem aus. Ihr Sohn Steven Vinaver, der eine Karriere als Künstler plante, blieb in New York. Er komponierte Musicals und inszenierte als Regisseur bereits in jungen Jahren auf dem Broadway.
1968 starb Steven mit 31 Jahren nach schwerer Krankheit, aber dennoch überraschend für Mascha. Dieser Schicksalsschlag traf Mascha Kaléko ins Mark. Sie bezeichnete ihn als den Beginn ihres eigenen Sterbens. Zudem fühlte sie sich in Israel nicht wohl. Als Dichterin unbekannt, der Sprache nicht mächtig und ohne soziales Netz wurde der Ton ihrer Gedichte immer bitterer und hoffnungsloser. Tragischerweise starb 1973, also nur fünf Jahre später auch ihr Ehemann Chemjo Vinaver. Sie verarbeitet diese existentiellen Erfahrungen in ihren Gedichten und reiste 1947 nach Berlin. Dort plante sie, ihren Lebensabend zu verbignen. Auf der Rückreise erkrankte sie schwer und erlag am 21. Januar 1975 in Zürich ihrem Krebsleiden.

Ihre Resilienz, die sie befähigt hat, die Herausforderungen ihres bewegten Lebens zu meistern, hat sie in ihrem wunderbaren Gedicht Sozusagen grundlos vergnügt fein hineingewoben.

Sozusagen grundlos vergnügt

Ich freu mich, dass am Himmel Wolken ziehen
Und dass es regnet, hagelt, friert und schneit.
Ich freu mich auch zur grünen Jahreszeit,
Wenn Heckenrosen und Holunder blühen.
– Dass Amseln flöten und dass Immen summen,
Dass Mücken stechen und dass Brummer brummen.
Dass rote Luftballons ins Blaue steigen.
Dass Spatzen schwatzen. Und dass Fische schweigen.

Ich freu mich, dass der Mond am Himmel steht
Und dass die Sonne täglich neu aufgeht.
Dass Herbst dem Sommer folgt und Lenz dem Winter,
Gefällt mir wohl. Da steckt ein Sinn dahinter,
Wenn auch die Neunmalklugen ihn nicht sehn.
Man kann nicht alles mit dem Kopf verstehn!
Ich freue mich. Das ist des Lebens Sinn.
Ich freue mich vor allem, dass ich bin.

In mir ist alles aufgeräumt und heiter:
Die Diele blitzt. Das Feuer ist geschürt.
An solchem Tag erklettert man die Leiter,
Die von der Erde in den Himmel führt.
Da kann der Mensch, wie es ihm vorgeschrieben,
– Weil er sich selber liebt – den Nächsten lieben.
Ich freue mich, dass ich mich an das Schöne
Und an das Wunder niemals ganz gewöhne.
Dass alles so erstaunlich bleibt, und neu!
Ich freue mich, dass ich … Dass ich mich freu.

(aus: Gisela Zoch-Westphal.In meinen Träumen läutet es Sturm. Gedichte und Epigramme aus dem Nachlaß)

Zum Weiterlesen