Lyrik und Poesie  – Was ist der Unterschied?

von | 20 Sep 2024 | Allgemein, Sprache

Die Begriffe Lyrik und Poesie lernt jedes Kind in der Schule. Aber wer kann sie differenzieren und gibt es überhaupt einen Unterschied?

Wer definiert?

Das Verständnis von Wortbedeutungen wandelt sich im Laufe der Zeit. Es gibt Worte, die im Alltag häufig in Gebrauch sind und von denen jeder glaubt, zu wissen, was sie bedeuten. Zum Beispiel Leistung, Zufriedenheit oder Glück. Versucht man, die exakte Wortbedeutung zu definieren, stößt man oft auf erstaunliche Hindernisse. Man wird gewahr, dass man zwar ein ungefähres Verständnis für das Wort hat, bzw. fühlt. Eine genaue Definition ist aber komplex, weil sie entweder dem Phänomen in seiner Vielfältigkeit nicht gerecht wird. Oder die Definition ist so ausladend und mit Ausnahmen gespickt ist, dass jegliche Klarheit fehlt. Und selbst, wenn die Definition gelingt, gibt es Menschen gibt, die ein grundlegend anderes Verständnis des jeweiligen Wortes haben.

Auch die Worte Poesie und Lyrik fallen in diese Kategorie. Werden Sie doch meist synonym genutzt, als irgend so ein Gedicht mit Reimen. Die poetisch Interessierten wissen natürlich, dass Reime mittlerweile nicht mehr unbedingt zum Standardrepertoire von Lyrik, bzw. Poesie gehören müssen, nutzen die beiden Begriffe jedoch trotzdem meist gleichbedeutend.

Schöpferische Tätigkeit oder Musik?

Wie immer hilft bei solchen Fragen der Blick auf die Wortherkunft und Etymologie.
Das Wort Poesie entstammt dem Griechischen und bedeutet schaffen, machen, schöpferisch tätig sein, dichten. Ein poetisch tätiger Mensch ist also erstmal ein schaffender, also kreativer Mensch. Der lyrisch Tätige hingegen ist in seiner Kreativität schon genauer definiert, denn das Wort lyrisch stammt von der griechischen lýra (λύρα) ab. Wer lyrisch aktiv ist, ist also musikalisch. Ist das Lyrische also eine Unterform des Poetischen?

Interessanterweise findet sich die Lyrik, nicht die Poesie bei der klassischen Differenzierung der drei literarischen Gattungen. Im deutschen Schul- und Universitätssystems werden das Drama, die Epik und die Lyrik als die drei Grundformen der Literatur gelehrt. Hier zeigt sich wieder die eingangs beschriebene Schwierigkeit der Definition. Denn während im Studienkreis gelehrt wird „Unter Lyrik fassen wir Gedichte aller Art zusammen“ (während die erzählenden und narrative Dichtung Epik genannt wird…) lernen wir in anderen Quellen, z.B. der Wikipedia: „Heute versteht man unter einem Gedicht einen einzelnen lyrischen Text.“

Und um die Verwirrung zu vollenden, lernen wir von Prof. Volker Frederking in seinem Beitrag für BR Alpha, dass Goethe 1819 Epos, Lyrik und Drama als „drey ächte Naturformen der Poesie“ unterschieden hat. Mit Poesie bezieht sich Goethe auf die von Aristoteles begründete Poetik, die wiederum mit dem Wort Dichtkunst ins Deutsche übersetzt wird.

Die Verdichtung

Es ist also offensichtlich, dass eine trennscharfe, exakte Differenzierung der beiden Begriffe, langjährige Studien benötigen und möglicherweise nie zu einem befriedigenden Ergebnis führen würde. Vielleicht ist das aber auch nicht notwendig.

Viel ergiebiger ist es, die wunderbare deutsche Entsprechung zu betrachten, nämlich den Begriff Dichtung. Steckt doch in ihrem Wortstamm die Dichte, das Verdichten.

Diese Verdichtung bildet die Synergie zwischen den Begriffen Poesie und Lyrik. Sie erklärt auch, warum die Begriffe so häufig synonym verwendet oder verwechselt werden. Die drei Begriffe bilden den harmonischen Dreiklang eines großen Ganzen: des literarischen Schaffens. Das Verdichten ist somit das Bindeglied des poetisch-lyrischen Formgebung des geistigen Kunstwerks. Das Eine kann nicht ohne das Andere wirken.

Aus diesem Gedanken ergibt sich die folgende Gleichung:

Poesie * Dichtung * Lyrik = Das Geistige wird erschaffen, verdichtet und in musikalischen Klang gesetzt.

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