Vom Wandern und Gehen – Franui
Das Motiv des Wanderns zieht sich wie ein roter Faden durch die Musikliteratur. Gehend werden neue Wege beschritten, alte Verletzungen hinter sich gelassen oder metaphysische Pfade beleuchtet. Gleichzeitig hilft die äußere Bewegung auch, emotionale Erstarrung zu transformieren und in die Lösung zu führen.
Franui
Osttirol, im August 2023 an einem bewölkten Sommertag. Die Wanderschuhe wurden geschnürt und es ging hinauf zur Alm. Vorbei an weidenden Kühen, munteren Bächen und saftigen Wiesen. Eine Szene wie in der Romantik. Ziel war die Unterstaller Alm in Innervilgraten / Osttirol, nahe der italienischen Grenze. Dort hatte die Musikbanda Franui ein großes Zelt aufgebaut und zum Hochkultur-Festival geladen.
Hungrig und ermüdet aufgrund der langen Anreise nahmen wir auf der Almwiese unsere Plätze ein. Der von den mächtigen Bergmassen betörte Blick streifte zur Bühne und erfasste, sich gerade noch fragend, wie so ein Konzertflügel eigentlich auf eine Alm kommen konnte, einen hageren jungen Mann in moosgrünem Anzug.
Ohne große Umschweife setzte er sich an den Flügel und spielte Bachs Goldbergvariationen. Obgleich das Ziel des physischen Wanderns gerade erreicht war, begann für die nächsten Stunden eine Reise, die berührend, ergreifend, aber zeitweise auch skurril anmutete. Die Grenzen zwischen Realität und Traum verschwommen. Bachs Goldbergvariationen, Schuberts Schöne Müllerin, Jazz, der Duft von Heu, das Läuten der Kuhglocken – die Grenze zum Metaphysischen löste sich auf und nicht nur einmal fühlte ich mich dem Himmel und dem großen Ganzen ein Stückchen näher als sonst. Ein unfassbar beglückender Nachmittag.
Das Wandern und Gehen ist ein Motiv, dass der Veranstalter des Hochkultur-Festivals, die Musikbanda Franui in vielen Variationen beleuchtet hat. Die Arrangements der Schubert-Lieder Der Wanderer an den Mond, Wanderers Nachtlied (Über allen Gipfeln ist Ruh) und Auf dem Wasser zu singen sollen hier nur exemplarisch für eine Vielzahl an berührenden, klangmagischen von Spiellust überbordenden Einspielungen genannt werden.
Den Arrangeuren Andreas Schett und Markus Kraler gelingt es dabei, die Doppelbödigkeit der Texte in ein instrumentales Kaleidoskop zu verwandeln, in dem man die geistige Ebene der Dichtung erfasst, obwohl der Text gar nicht gesungen wird. Die Musik wirkt oft wie ein Sog, der ähnlich dem Prinzip des Wanderns, emotionale Phänomene aus der Erstarrung in die Bewegung führt. Dies liegt nicht zuletzt an der beeindruckenden Präzision und dem Timing, welches diese begnadeten Musiker in jahrzehntelanger Praxis miteinander realisiert haben.
Wandern und Stimmung
Das individuell angenehme Timing, die regelmäßige Bewegung mit mäßigem Anstrengungsgrad ist, was das lockere Wandern oder kontemplative Spazierengehen prädestiniert für eine Begegnung mit der äußeren Natur sowie dem inneren Selbst. Man spürt sich selbst in angenehmer Weise, die rhythmische Bewegung des Gehens, die frische Luft, den Klang der rauschenden Bäume, der singenden Vögel oder spielenden Wellen. Der Alltagstrubel kommt zur Ruhe und die Gedanken ebenso. Manchmal liegt einem in diesen Momenten sogar ein munteres Liedchen auf den Lippen. In früheren Zeiten waren das Wandern und das Singen ja beinahe symbiotische Tätigkeiten. Wanderlieder wie Im Frühtau zu Berge, Auf du junger Wandersmann oder Das Wandern ist des Müllers Lust begleiteten selbstverständlich den sonntäglichen Spaziergang und schenkten ihm Leichtigkeit und Frohsinn.
In manchen Fällen wird man beim Wandern aber auch von melancholischer Stimmung erfasst. Sei es beim Anblick eines besonderen Naturschauspiels, einer bestimmten Tageszeit oder Witterung. Diese Eindrücke können zu emotionalen Erschütterungen führen, die einem gerade aufgrund ihrer Schönheit das Wesen der eigenen Endlichkeit ins Bewusstsein führen.
Wanderes Nachtlied
Über allen Gipfeln
Ist Ruh‘,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.
Goethe soll dieses Gedicht tatsächlich auf einer Wanderung am 6. September 1780 auf dem Kickelhahn im Thüringer Wald verfasst haben. Das Besondere ist, dass der Gedanke der Endlichkeit aber weder Panik, noch Angst oder andere unangenehme Affekte auslöst. Vielmehr wird die mit Allem verbundene ewige Ruhe visioniert. Das Aufgehobensein in der großen Schwingung des All-Einen. Das Gehenlassen der eigenen Sehnsüchte, Bedürfnisse und Polaritäten.
Vom Gehenlassen
Eine der berührendsten Aufnahmen von Franui ist ihre Version des Volkslieds Da unten im Tale. Der gemeinsame Weg ist zu Ende und es bleibt nur das Abschiednehmen. Ohne Groll, ohne Zorn. Nur mit einem ehrlichen Dank für die gemeinsame Zeit.
Da unten im Tale
Da unten im Tale
läufts Wasser so trüb
Und i kann dir’s net sagen
I hab’ di so lieb.
Sprichst allweil von Liebe
Sprichst allweil von Treu
Und a bissele Falschheit
Ist au wohl dabei.
Und wenn i dir’s zehnmal sag
Dass i di lieb’
Und du willst nit verstehn
Muß i halt weitergehn.
Für die Zeit, wo du gliebt mi hast
Dank i dir schön
Und i wünsch, dass dir’s anderswo
Besser mag gehen.
Zum Weiterhören
Meine Lieblings-Aufnahmen von Franui sind:
Ständchen der Dinge
Mahler-Lieder
Schubert-Lieder
Brahms-Lieder
Ennui
Kreisler-Lieder